Theodor und das Schaukelpferd
Der Dachboden roch nach altem Holz und staubiger Zeit. Zwischen Reisekoffern und vergilbten Bücherstapeln blitzte etwas hervor – ein Pferdekopf, halb verborgen, mit strahlenden Augen.
Ich starrte das Schaukelpferd an, das meinem Vater gehört hatte. Vorsichtig zog ich daran, doch es war fest eingeklemmt. Seine Augen funkelten unter der Staubschicht, als hätte es nur darauf gewartet, entdeckt zu werden. Ich pustete über den Kopf, und eine Staubwolke stieg auf, während die Farben des Pferdchens darunter langsam zum Vorschein kamen.
„Bald wirst du wieder wie neu aussehen“, flüsterte ich. „Und dann stehst du bei uns im Wohnzimmer – Weihnachten ist nicht mehr weit!“
„Weihnachten?“ Eine leise, murmelnde Stimme. „Ja, ich erinnere mich… Glanz, Lichter… Gibt es das Fest noch in eurer Welt?“
Mein Herz machte einen Sprung. Hatte ich das gerade geträumt? Langsam, ganz langsam blickte ich das Pferd an. Es stand still, aber die Augen… sie waren kristallblau geworden.
„Ihr feiert noch Weihnachten, oder?“ fragte das Pferdchen.
Ich stockte. „Ja… natürlich“, antwortete ich, während mein Verstand versuchte, das Unmögliche zu begreifen. Ein Schaukelpferd, das redet?
Das Pferd zwinkerte mir zu. „Na also.“
Ich schüttelte den Kopf, kniff die Augen fest zusammen, öffnete sie wieder – aber es blieb dabei. Das Pferd sah mich an, seine Augen voller Leben, voller Erinnerungen. „Wieso kannst du sprechen?“ fragte ich leise, als ob ich das Ganze zerbrechen könnte, wenn ich lauter spräche.
„Weil du es dir wünschst“, antwortete es. „Ich erfülle Wünsche. Aber warum interessiert sich jemand wie du für ein altes Schaukelpferd? Du bist doch viel zu groß für mich alten Zausel!“
„Ich finde dich toll“, sagte ich schnell, überrascht von der Wärme in meiner Stimme. „Ich will dich in mein Zimmer bringen! Aber ich brauche Hilfe.“
„Gemeinsam schaffen wir das“, sagte das Pferdchen, und sein Blick funkelte. „Und jetzt… hast du zufällig eine Bürste dabei? Der Staub…“ Es schüttelte die Mähne, kleine Flocken wirbelten durch die Luft. „… er wiegt so schwer.“
Ich grinste. „Ich hole Bürste und Staubtuch. Und vielleicht ein Zuckerstückchen.“
Das Pferd nickte. „Zwei wären auch gut.“
„Okay“, sagte ich, „aber erst sag mir deinen Namen.“
Seine Augen wurden dunkel, und die Stimme klang plötzlich ganz fern. „Namen bringen nur Unglück. Glaub mir, es ist besser so.“
„Na gut“, sagte ich, „dann nenne ich dich einfach Pferdchen.“
Das Schaukelpferd grinste und zuckte leicht mit den Ohren. „Passt.“
„Ich heiße Theo“, fügte ich hinzu, „eigentlich Theodor. Wie mein Großvater.“
Das Pferdchen brach in schallendes Gelächter aus, so laut, dass ich mir fast die Ohren zuhalten musste. „Theodor der Zweite, also!“ Es kicherte. „Dieser Name scheint deinem Vater wirklich am Herzen gelegen zu haben!“
„Ich glaube, es theodort hier oben!“, prustete ich und konnte nicht mehr aufhören zu lachen.
Das Lachen des Pferdchens hallte von den Wänden wider, und für einen Moment war es, als würde die ganze Dachstube leuchten, voller Glanz und Geschichten von früher.
© Regina Meier zu Verl