Der anonymen Masse Gesichter und Namen geben

Genau das ist heute dem Journalisten und Autor Philipp Hedemann gelungen. Er nahm die Schüler der 9. Klassen der Werner mit auf seine Reisen auf die griechische Insel Kos, nach Äthiopien und schließlich in die Schweiz und zu uns nach Deutschland.

„Die Flüchtlingsrevolution – Wie die neue Völkerwanderung die ganze Welt verändert“ heißt das Buch, in dem 21 ganz persönliche Menschen- bzw. Familienschicksale zu finden sind. So laut und aufdringlich sich der Titel des Buches auch anhört, sind die Stimmen der Menschen und die Geschichten leise und zugleich sehr eindringlich und oft leidvoll.

So das Schicksal von Ameena und Ali. Als Ameena sich im Herbst 2015 mit ihren beiden jüngeren Kindern auf den Weg nach Deutschland macht und sie an der türkischen Küste der Mut verlässt, da sie von den vielen untergehenden Schlauchbooten gehört hat, versprechen ihre Kinder ihr, dass sie nicht ertrinken werden. Kinderversprechen sind so ehrlich und furchtlos. Sie haben Glück und erreichen die Insel Kos. Glück, welches Ali mit seinen vier Kindern in der Nacht zuvor nicht hatte. Die beiden jüngeren Kinder überleben die teuer erkaufte 14 Kilometer lange Überfahrt auf die griechische Insel nicht. Das völlig überladene Schlauchboot kentert. Ali, der Polizist im Irak war, hält seine beiden jüngeren Kinder im Arm, doch die beiden ertrinken. Hussains Körper wird nicht mehr geborgen.

Herr Hedemann zeigt uns noch das Passfoto, das der Vater der Kinder in der Türkei anfertigen ließ. Ein Passfoto für das neue Leben seines Sohnes Hussain in Europa, das es nun nicht geben wird. Hussain wurde sechs Jahre alt, seine kleine Schwester Zainab nur vier. Zainab wird auf dem muslimischen Friedhof auf Kos beerdigt. Ihr Grab gehört nun zu den zahlreichen kleinen Kindergräbern auf der christlichen Insel.

Mittlerweile lebt der schwer traumatisierte Vater mit seinen beiden Kindern in Chemnitz. Ameena in Duisburg. Die gewaltsame Entwurzelung, die schrecklichen Fluchterlebnisse und vor allem der große Verlust sind ein Teil dieser Familien, die stellvertretend für viele Schicksale stehen.

„Jeder dieser Flüchtlinge, Jugendliche in eurem Alter, haben Überlebensstrategien entwickelt und sind einen Weg gegangen, der sich von eurem Weg unterscheidet. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen. Seid neugierig und geht auf sie zu“, meint Hedemann am Schluss eines kleinen Interviews, das Schüler vorbereitet haben.

Die Bereitschaft zur Diskussion, Neugierde und Offenheit können Türen öffnen und neue Wege ebnen. Diese Bereitschaft ist bereits der Nährboden des friedlichen Miteinanders an unserer „Schule ohne Rassismus und mit Courage“ und kann sicherlich auch in einem größeren Rahmen funktionieren.

Zeynep Marbach

Die 9b hat mit Frau Pühler im Kunstunterricht das Thema „Flucht“ künstlerisch aufgegriffen. Die kleine Ausstellung wird demnächst im ersten Stock vor dem Kunstsaal zu sehen sein.